Bereits am Sonntag hatten Dutzende Techniker begonnen, die spektakuläre „Center-Stage“ aufzubauen. Inmitten der Hallen platziert, die David Garrett in den kommenden Monaten auf seiner Europa-Tournee bespielt, soll sie allen Zuschauern eine optimale Sicht auf die Show des schillernden Geigers ermöglichen. Seit Montag hatte der 36-Jährige in Braunschweig für den Tourauftakt geprobt. Zu sprechen war er nicht. Nichts sollte ihn von der hoch gehandelten „Explosive“-Premiere ablenken.

Knüller aus Rock und Pop als Klassik-Freibeuter zu entern und Gesangsstimme und Gitarren-Soli mit seiner Stradivari zu toppen – so hat sich das frühere Klassik-Wunderkind vor einigen Jahren neu erfunden.

Die weltumarmende Pop-Hymne „Viva la Vida“ von Coldplay ist einer der ersten Titel, die Garrett in Braunschweig crossovert. Gelöst lächelnd streicht er die populäre Melodie, im eng geschnittenen Anzug, dazu weiße Stiefel, Hemd über der Hose, die Haare zum Zopf gebändigt. Super sieht er aus, äußerlich sind ihm die bösen Schlagzeilen der vergangenen Monate nicht anzumerken.

Seine frühere Freundin Ashley Youdan, ein Porno-Starlet, hat ihn wegen angeblich brutaler Sex-Praktiken auf 15 Millionen Dollar verklagt, er hält mit einer Gegenklage auf Verleumdung dagegen. In Braunschweig äußert er sich indirekt dazu: „Wir leben in verrückten Zeiten, in denen jeder über jeden im Internet anonym schreiben kann, was er will. Das zu ignorieren fällt schwer, manchmal trifft es ins Herz – aber man darf das einfach nicht zulassen.“ Warmer Applaus in der Halle.

Garrett steht mit seiner Band auf einer teils rotierenden Scheibe auf der Center Stage, am Rand sitzen zwei Dutzend Orchestermusiker. Zur üppig-melancholischen Anverwandlung der Disney-Filmmusik „Frozen“ umwallt sie künstlicher Nebel, als Garrett den knackigen Klasssiker „Ghostbusters“ angeigt, bläht sich ein Luftgeist auf. Beim Titeltrack des aktuellen Albums „Explosive“ zünden Feuerfontänen, und vier knappst Latex-bekleidete Tänzerinnen wackeln mit den Hintern. Ein etwas fragwürdiger Einfall.

Die Nummer verbindet ziemlich rummelplatzige Dance-Beats mit klassisch angehauchten Motiven. Die Kombination finde er „extrem spannend“, erzählt der fleißig moderierende Star: „Wir Musiker müssen Risiken eingehen, wenn wir etwas Neues schaffen wollen.“

Manchmal landet man dabei auch zwischen Baum und Borke, finden wir – aber die Halle ist mit rund 6000 Fans ausverkauft und das Publikum auch altersmäßig so bunt gemischt wie Garretts Crossover-Sound.

Seine neuen Titel sind keine Cover mehr, sondern zwischen Pop und Klassik mäandernde Eigenkompositionen. Auch in der Volkswagen-Halle klingt das zugleich wuchtig und gut durchhörbar. Garretts oft rasante Geigenmelodien fliegen technisch perfekt über das Band-Orchester- gemisch hinweg. Allerdings wirken die Arrangements so durchgestylt, dass sie selten die ekstatische Eigendynamik des Rock erreichen, die Garretts Selbstvermarktungs-Ästhetik suggeriert.

Dafür bietet er abwechslungsreiche, im großen Stil inszenierte Hochglanz-Unterhaltung von purer Klassik, die er gelegentlich auch anspielt, bis hin zu Gypsi-Swing, Rock und Dancepop, mit Fernsehballett-Tänzern und Laserlicht. Viel Beifall für den Tourauftakt in der VW-Halle. Seine Mutti war auch da und fand ihren Sohn bestimmt auch super.

Arnold, Florian
http://www.braunschweiger-zeitung.de/ku … rrett.html