LIVE: Star-Geiger Garrett im Goldregen-Rausch
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Classic revolution! Mit seinem musikalischen Crossover-Auftritt zündete David Garrett gestern Abend in der Münchener Olympiahalle ein furioses Feuerwerk mit jede Menge Spezialeffekten, Stilbrüchen und einer medialen Supershow.
Glimmernder Goldregen, einheizende Feuer Fontänen, leuchtende Lichtkegel und gigantomane Leinwände mit schnell geschnittenen Video-Sequenzen. Die ausverkaufte Olympiahalle schien gestern in Feuerwerksstimmung und Silvesterlaune. Zu Gast waren nicht Madonna oder Robbie Williams, sondern der deutsche Violonist mit dem englischen Namen David Garrett. Doch wer ihn als Solist erwartete, fehlte weit. Der Mann mit der Geige wurde von nicht weniger als insgesamt 40 Personen auf der Bühne begleitet. Darunter seine fünfköpfige Band, sechs Tänzer und Tänzerinnen des deutschen Fernsehballetts sowie das Orchester der Neuen Philarmonie Frankfurt.Der schnellste Geiger der Welt lieferte bei seinem Konzert in München wahrhaft eine Mega-Show, die eher an einen internationalen Popstar erinnerte, als an einen Geigen-Virtuosen. Wer bloß einen coolen, lässigen Mann mit der Geige erwartete, der sein millionschweres Instrument mit Stil und Klasse an eine neue Generation heranführt, wurde enttäuscht. Oder positiv gesagt: überrascht. Eine effektgeladene Bühnenshow, dazu große schlanke, sich vielfach räkelnde Tänzerinnen, eine tatsächlich Feuer sprühende Geige (!) und viel, viel Bühnennebel ließen den Künstler oftmals nahezu verschwinden. Von den hinteren Plätzen ließ er sich im Gemenge auf der Bühne manchmal sogar kaum finden. Ein krasser Kontrast zum bestuhlten Innenraum, einem sprichwörtlich gesetzteren Publikum und den Tribünen!
Gut, dass er zu Beginn des Konzerts einen spektakulären Auftritt gewählt hatte! David Garrett flog, wie zuletzt auch Udo Lindenberg bei seiner Stadiontour, von oben in die Halle ein - begleitet natürlich von einem Lichtkegel. Inszeniert als Engel, Heilsbringer oder einfach Robbie Williams schwebte er zu „Let me entertain you“ - wie übrigens Helene Fischer beim ECHO 2013 - durch die Ränge. Ganz oben zu sein und unerreichbar, das scheint ihm zu gefallen, wurde doch noch vor Beginn des Konzerts ein Video gezeigt, der ihn in Zusammenarbeit mit dem legendären indischen Dirigenten Zubin Mehta zeigte, eingespielt. So als müsse es vor der massentauglichen Bühnenshow noch einmal bewiesen werden, lobt ihn sein Lehrmeister, der den Geiger schon kennt, seitdem er 12 Jahre alt ist, mit den Worten: „David Garrett ist werktreu und behutsam mit der Interpretation der Kompositionen.“
Nachdem dies festgestellt und der Hinweis auf sein neues Album „Timeless“, das in Zusammenarbeit mit dem Israel Philharmonic Orchestra entstanden ist, untergebracht war, konnte es losgehen! Dass David Garrett mit der Geige bekannte Songs aus Rock und Pop neu arrangiert und inszeniert ist bekannt. Den Anfang macht er mit oben genanntem Robbie Williams Song - die Message ist klar: Es geht um Unterhaltung. Wir hören hier keine E-Musik! Es wird kein klassisches Konzert, auch nicht eine moderne Neuinterpreation dessen. Es geht um Spaß!
Die Palette seiner Songs eröffnet ein ganz neues Programm. Sein Repertoire reicht von Bruce Springsteens „Born in the USA“ über „Lacrimosa“ aus Mozarts Requiem bis zu Frank Sinatras „New York, New York“. Mit entsprechender medialer Video-Begleitung im Hintergrund, versteht sich: Fliegende Sterne in „Stars and Stripes“-Farben oder die Kulisse New Yorks, die Stadt von der er erklärt: „Der Song ist eine Hommage. New York veränderte mein Leben!“Die ganze Performance seiner „Classic Revolution“-Tour ist auf Kontrast ausgerichtet. Da folgt auf Verdis Requiem ohne mit der Wimper zu zucken der Gute Laune-Song „Labamba“. So wackeln nach dramatisch düsterer Gewitterkulisse im Anschluss dünnbekleidete, Blumen bekränzte Volant-Rock Trägerinnen über die Bühne und beweisen abermals ihre Wandlungsfähigkeit. Passend dazu darf an diesem Abend auch der Latino-Hit „Baila me“ nicht fehlen.
Doch auch Folklore haben es ihm als Projekt der Neuinterpretation angetan: Ob irisch oder rumänisch - er hat schon oft bewiesen, dass er eine Vorliebe für Volkslieder hat. An diesem Abend nimmt er sich die russische „Babuschka“ vor und zeigt: Der Up-Tempo-Bereich ist sein Zuhause. Je schneller, desto besser wird er. Mit ganzem Körpereinsatz gleitet er mit dem Bogen über die Saiten - da fällt sogar sein neues Accessoire: die Beanie-Mütze! Gewohnt lässig, in zerrissenen Jeans, Boots und legerem Jacket ist er nun wieder der coole (in die Jahre gekommene) Jüngling mit dem blonden Schopf!
Von dem Melting Pot der Musikstile überwältigt, wenn nicht geplättet, wirken seine eigenen Stücke, seine „Babies“, wie er sie nennt, für den Zuschauer wohltuend, nahezu heilsam. Gefühlvoll, anmutig und virtuos präsentiert er diese eigenen Kompositionen weit leiser, demütiger, als den Rest und es stellt sich die Frage: Warum nicht insgesamt nicht ein bisschen mehr „Mann mit Geige“ und ein bisschen weniger Feuerwerk und Hüftschwung?
Ein bisschen weniger Geschichten zwischen seiner Musik, mögen dem ein oder anderen wohl auch gereicht haben. So interessiert es vielleicht nicht jeden, was seine Mama von dem Inhalt seines Kühlschranks hält. Doch der Applaus bestätigt ihn. Seine Witze kommen an, wenn auch ohne großgeschriebene Entertainerqualität. Zugegebenermaßen amüsant: Die Geschichte über seine Flugangst, in der der Flugkapitän ihn während angsteinflößender Turbulenzen in der Passagier-Kabine seelenruhig über sein Familienleben informiert: „Ich sterbe und er isst neben mir Torte.“Das Finale nach zweieinhalb Stunden Konzert: Ein Hit-Medley seiner bisherigen Crossover-Projekte. Nun möchte man ihm am liebsten eine große Packung Eiswürfel für seine geschundenen Finger schenken. Denn eines ist klar: Er hat unglaublich Gas gegeben, ist über sich hinaus gewachsen und beherrscht sein Instrument, als wäre es ein angewachsenes Körperteil. Schade, dass dies im Goldflitter-Rausch und Reizüberflutung für die Augen etwas unterging!
Отредактировано Elina (09.01.2015 00:58)