David Garrett wechselt mühelos zwischen Klassik und Pop. Nun beweist der viel geliebte, aber auch viel geschmähte Geigenvirtuose schauspielerisches Talent: In »Der Teufelsgeiger« spielt er Niccolò Paganini – eine Rolle, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist.
Der ist ja lässig. Schön souverän, leicht überheblich zwar, aber mit Charme. Freundliches Grinsen, warmherziger Blick aus braunen Augen – ein guter Typ. Aber Achtung: Persönliche Fragen sind tabu. Das muss man vorher unterschreiben, wenn man mit ihm sprechen will. Andererseits: Früher hat er sehr offen darüber gesprochen, über den Drill der frühen Jahre, den Leistungsdruck als »Wunderkind« – und wie er beinahe daran zerbrochen ist. Jetzt sieht er das anders, mag nicht mehr darüber reden. Okay, reden wir also über Paganini, den Teufelsgeiger. Und stellen fest, dass wir dabei eine ganze Menge über David Garrett erfahren. Der Film »Der Teufelsgeiger« kommt demnächst ins Kino, mit David Garrett in der Hauptrolle als Niccolò Paganini. Und, nein, er vergeigt es nicht.
»Der Teufelsgeiger« ist Ihr Debüt als Schauspieler. Haben Sie Unterricht genommen?
Ja. Habe ich. Von Regisseur Bernard Rose hatte ich zwar die Anweisung, genau das nicht zu tun. Allerdings bin ich jemand, der an gute Vorbereitung glaubt. Also habe ich mich vor dem Film in New York noch mal mit jemandem zusammengesetzt.
Hat offenbar gut funktioniert. Wobei Ihnen die Rolle wie auf den Leib geschneidert ist. Welche Parallelen gibt es zwischen Ihnen und Paganini?
Wir spielen das gleiche Instrument, haben also schon mal grundsätzlich denselben Werdegang. Wir haben beide relativ früh angefangen zu spielen, waren sehr früh gut. Die ganze … ich will jetzt nicht sagen Tragik, aber dieses sehr frühe Diszipliniertsein, sehr früh Situationen gegenüberzustehen, die schwierig sind, die sehr viel Druck ausüben – die kann jeder Geiger, jeder Musiker nachvollziehen. Von daher gab es schon mal eine emotionale Basis, die sehr einfach mit der Figur in Einklang zu bringen war.
Paganini hatte also auch so einen strengen Vater.
Richtig. Es gibt bei erfolgreichen Leuten immer jemanden im Hintergrund, der forciert. Das war bei mir genauso. Ich hätte keine andere Figur spielen wollen, denn keine andere ist mir so vertraut.
Sie haben ja dieses Filmprojekt selbst initiiert.
Stimmt, das war meine Idee. Ich habe mit dem Regisseur monatelang daran gearbeitet. Das ganze Konzept ist sehr nahe an dem, was ich auch tatsächlich erlebt habe – das erleichtert mir die Arbeit des Schauspielers.
50 Prozent Geige spielen, 40 Prozent mit schönen Frauen ins Bett gehen, 10 Prozent für den Rest …
Das ist allerdings etwas übertrieben. Die Figur lebt von der Virtuosität. Und die ist bei der Geige, im Gegensatz zum Klavier, eine sehr visuelle Sache. Deswegen spiele ich sie auch selbst. Ich glaube, wenn jemand nicht selber Geige spielt auf diesem Niveau – und das können nur ganz wenige – dann wirkt so ein Film nicht.
Warum, glauben Sie, wurde Paganini überhaupt als Teufelsgeiger bezeichnet?
Es war Anfang des 19. Jahrhunderts, der Beginn der Romantik – und er war einfach so ungewöhnlich, so spektakulär. Er hatte eine düstere, geheimnisvolle Aura, trug stets schwarze Kleidung, da lag der Vergleich natürlich ziemlich nahe. Ich glaube, er hat sich bewusst so vermarktet.
Erstaunlich, dass es damals schon so etwas wie Selbstvermarktung gab.
Ja. Und Paganini war der Erste, der sich als Virtuose inszeniert hat. Der Erste, der die Geige als solistisches Instrument eingesetzt hat. Der erste berühmte Instrumentalist. Davor waren die Berühmtheiten Sänger. Er ist für jeden Geiger die Messlatte an Virtuosität. Ich will nicht sagen, dass es die erhabenste Musik ist, aber wenn es ums Geigerische geht, dann geht da nichts drüber. Er war so bekannt wie Napoleon. Alle sind damals in seine Konzerte gerannt.
Er war also eine Art Popstar?
Nicht ein Popstar – er war der Popstar. Auch jeder Musiker wollte sich das anhören. Franz Liszt hat sich genauso angezogen, trug die langen Haare …
Apropos Popstar – neben den Klassiktourneen gehen Sie auch immer wieder auf Crossover-Tour. Was finden Sie daran gut, Rock, Pop und Heavy Metal auf der Geige zu spielen?
Bei Stücken außerhalb der Klassik gibt es unglaublich viele Freiheiten: Du kannst mit dem Instrument experimentieren, du kannst neue Techniken entwickeln, nach etwas suchen, das noch nicht da gewesen ist. Das ist eine sehr spannende Sache. Eine Ablenkung von der Klassik, die ja sehr im Rahmen eines Werkes ist. Da kannst du nicht einfach über die Stränge schlagen, es ist etwas Vorgegebenes, und du hältst dich daran. Du bist praktisch Interpret ganz, ganz großer Musik. Kreative Freiheit hast du, wenn du selbst Musik schreibst und wenn du Sachen arrangierst, die außerhalb der Klassik sind.
Sie füllen bei Crossover-Konzerten riesige Hallen, mit den unterschiedlichsten Zuschauern. Stört Sie manchmal der Gedanke an Banausen im Publikum, die keine Ahnung von Musik haben?
Nein! Keine Ahnung von Musik zu haben ist doch nicht schlimm. Das ist keine Sprache, die man erlernen muss, sondern etwas, das wir alle instinktiv kennen. Es gibt keine Musikbanausen. Das ist Blödsinn. Von Leuten behauptet, die sich als etwas Besseres fühlen wollen.
Wie gut muss man als Musiker die Technik draufhaben?
Jeder große Musiker muss sein Instrument zu 100 Prozent beherrschen. Sonst hat er nicht die Freiheit, auf der Bühne Musik machen zu können. Denn Musik musst du geschehen lassen, die Technik dahinter musst du jahrelang üben.
Wie oft üben Sie?
Jeden Tag, so viel wie möglich. Das ist wie Hochleistungssport.
Bleibt da noch Zeit für andere Dinge?
Vehementes Nein! Das ist leider so. Ich bin ein Vertreter von 100 Prozent. Da verschiebt man natürlich einige Sachen im Leben ein Stück weit nach hinten. Ich will aber nicht auf dem Sterbebett sagen müssen: Verdammt, da hast du einiges verpasst!
Davor haben Sie Angst?
Nicht direkt. Aber ich bin intelligent genug, um zu wissen, dass für das Pensum, das ich momentan mache, meine Energie nicht ewig ausreichen wird. Ich werde irgendwann daran arbeiten, dass es ruhiger wird.
Wie ist es denn heute?
Man muss sich vorstellen, ich bin in den letzten vier, fünf Jahren 320 Tage im Hotel jedes Jahr. Und drei Wochen zu Hause.
Sie sagen bei klassischen Konzerten Ihre Stücke an. Das ist ganz unüblich.
Finde ich nicht. Früher wurde im Konzert viel mehr geredet als heute. Die Konzerte im 19. Jahrhundert waren lustig: Die Programme waren kurz – drei, vier Minuten Arie, dann kam ein Klavierstück, dann wurde gegeigt. Das war viel abwechslungsreicher. Die Leute haben geklatscht, sogar in den Sinfonien. Wenn heutzutage im ersten Satz applaudiert wird, heißt es gleich: oh je, bitte nicht, psssschhht!
Warum ist das denn so geworden, heute?
Ich habe keine Ahnung. Aber ich versuche aufzuklären, dass das überhaupt keinen Sinn macht. Dass das auch nicht im Sinne eines Komponisten sein kann oder im Sinne eines Solisten. Du hast den ersten Satz von Tschaikowskys Violinkonzert gespielt und danach herrscht Stille. Da würde ich mich fragen: Um Himmels willen, was hab ich falsch gemacht?
Sie werden ja von vielen geliebt und verehrt, andererseits schlägt Ihnen auch viel Ablehnung entgegen.
Die sehen das, was ich neben der Klassik mache als Affront, oft steckt aber auch Neid auf den Erfolg dahinter. Viele, die das so empfinden, waren noch nie bei einem meiner Konzerte.
Und leiden Sie darunter?
Es ist natürlich schade, wenn man ein tolles Konzert gespielt hat und kriegt dann eine schlechte Kritik. Andererseits spielt man ja nicht für den Kritiker. Man spielt in erster Linie für den Komponisten, für das Orchester. Und für‘s Publikum, das Spaß daran hat. Der Kritiker ist unwichtig. Und mit diesem Satz habe ich mir jetzt wahrscheinlich prompt 20 schlechte Kritiken eingehandelt. Aber das ist auch völlig unwichtig. (lacht)
Was ist das für ein Gefühl, vor so viel Publikum zu performen?
Das ist wie bei Big Brother: Du bist da oben, und die Leute schalten ein. Ich schaue nicht ins Publikum denn das Wichtigste ist in dem Moment die Konzentration. Das, was du auf der Bühne machst, ist sehr privat und intim, denn wenn du Musik spielst, gehst du ja durch deine eigenen Emotionen. Es passiert, und du musst es passieren lassen. Die Bühne ist dann wie ein geschlossener Raum.
Wann sind Sie glücklicher: auf der Bühne, während Sie spielen – oder hinterher, wenn alles vorbei ist?
Der tollste Moment ist auf der Bühne – wenn ich merke, die Konzentration ist da, die Vorbereitung hat funktioniert. Nach dem Konzert ist Freude da, auch Erleichterung, aber das Beglückendste ist, auf der Bühne Musik machen zu können.
Dann war es im Nachhinein betrachtet doch gut, dass Sie als Kind so hart arbeiten, so viel üben mussten, weil Sie sonst heute nicht da wären, wo Sie sind?
Natürlich. Alles, was wir in der Vergangenheit getan haben, ob gut oder schlecht, hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Das zu bedauern ist völliger Unsinn – es sei denn, es geht dir wirklich schlecht. Mir geht es sehr gut im Jetzt. Insofern: Alles hatte seine Wertigkeit, alles war positiv, auch das Negative.
Interview: Birgit Hamm