INTERVIEW MIT DAVID GARRETT
„Faszinieren kannst du nur über Leidenschaft und Charisma“
Star-Geiger David Garrett hat sich aus den deutschen Fernsehstudios auf die große Kino-Leinwand getraut - in der Rolle keines Geringeren als Niccolò Paganini.
Zusammen mit Bernard Rose, einem musikfilmerfahrenen Regisseur (Kreutzersonate, Ludwig van B.) hat er sich die Rolle des Teufelsgeigers für den gleichnamigen Film auf den Leib geschrieben und aus einem todkranken Mann ohne Zähne einen atemberaubend schönen gefallenen Engel gemacht. Fast so, als hätte Paganinis Musik tatsächlich Gestalt angenommen. Der Teufelsgeiger ist Musikfilm, Liebesgeschichte und trotz Handlung in den 1830er Jahren aktuelles Spiegelbild der Musikbranche mit eiskalten Managern, Exzessen, Groupies, Neid und natürlich einem Künstler auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn.
Unsere Redakteurin hat im Vorfeld der Premiere mit David Garrett über seinen Ausflug ans Filmset gesprochen und fand sich im Interview einem Mann gegenüber, der nicht mehr ganz in die Schublade passte, in die sie ihn gesteckt hatte. Mediengeschultes Personal in Blickweite, erzählte der Musiker mit den wohl schönsten Händen der Welt von seiner Sicht auf Schauspiel, Rockstars, klassische Musik und davon, was es braucht, um Menschen - ganz egal ob jung oder alt - zu begeistern.
Interview: Alexandra Bersch
amicella: Du sagst, die Geschichte Paganinis und deine Geschichte weisen so einige Parallelen auf. Aber was ist der größte Unterschied zwischen euch? Musikalisch. Oder menschlich.
David Garrett: Natürlich haben wir dasselbe Instrument und der Werdegang eines Geigers fängt sehr früh an – da sind schon rein berufliche Parallelen, die nicht abzustreiten sind. Die können aber auch gleichzeitig ein Maxim Vengerov oder ein Vadim Repin oder ein Jascha Heifetz oder Nathan Milstein, mit Paganini haben. Der größte Unterschied? Ich bin ein positiver Mensch und jemand, der sehr viel Wert auf Harmonie legt, und ich glaube, das unterscheidet mich von dem Charakter, den wir dargestellt haben.
Wieso war es euch so wichtig, Paganinis Lebensabschnitt in London für den Film auszuwählen?
Ein ganzes Leben in einen Film zu fassen ist bei Paganini sehr schwierig, weil sehr, sehr viel passiert ist. Grundsätzlich gibt es auch zu viele Mythen, die man irgendwie in einen Film packen kann, und irgendwann verliert man den Faden. Zumindest glaube ich auch, dass auch Bernard Rose (Regisseur, Anm. d Red.) es so gesehen hat. Sich auf eine gewisse Zeit zu fokussieren, die entscheidend ist, ist für mich ein schöner biografischer Ansatz. Das Leben hat ja gewisse Etappen und ich glaube für Bernard Rose und mich war London einer dieser Wendepunkte in Paganinis Leben.
Stimmt es, dass du keinen Schauspielunterricht genommen hast?
Nein, ich habe im Vorfeld einige Stunden Schauspielunterricht genommen.
Hatte es Vorteile für dich, bei deiner Arbeit am Set und bei der Verkörperung der Rolle, dass du nicht richtig intensiv ausgebildet wurdest?
Gerade für diese eine Geschichte war es für mich sehr natürlich, weil das Dargestellte ein Leben ist, das ich kenne, etwas, das ich selbst durchlebt habe. Die Disziplin, jung anzufangen, sehr, sehr hart zu arbeiten und viele Opfer zu bringen. Insofern habe ich mich darin wiedergefunden. Und das ist vielleicht sogar mehr wert, als wenn du Schauspieler bist und versuchst, dich in eine Rolle hineinzuversetzen – es ist doch besser, wenn man die Rolle schon kennt. Es gibt ja viele Beispiele von Schauspielern, die auch keine schauspielerische Ausbildung gehabt haben. Harrison Ford zum Beispiel, der war Zimmermann. Ich glaube, man muss gute Emotionen und ein gutes Gespür für Zeit haben, man muss zuhören und reagieren können. Und irgendwie ein Charakter sein, Spaß an der Sache haben und viele andere Dinge. Mit der Musik ist es ähnlich. Du kannst die beste Ausbildung der Welt haben, aber wenn du am Ende nicht das Gefühl hast, kannst du zwar die Noten, aber es kommt trotzdem nichts rüber. Ich bin ja auch wirklich kein professioneller Schauspieler und bin sehr froh, dass tolle Leute um mich herum waren, denn ich habe viel von ihnen gelernt und gespiegelt. Sie haben mich auch herausgefordert.
Welche Szenen waren denn für dich als Schauspielanfänger spannender zu Spielen – Schlägerei- oder Sexszenen?
(lacht) Ach, die haben beide ihren Reiz. Aber ich muss dabei sagen, die Schlägereien waren realistischer als das andere.
Wirkte auch sehr realistisch.
Ja, ich habe ich mich echt gewundert! Da war so ein Moment, in dem ich gedacht habe „Okay, das ist jetzt nicht gespielt von den Kollegen…“ (lacht)
Die hatten es dann richtig auf dich abgesehen?
Ja, das war auch in gewisser Weise gewollt von Bernard. Er ist jemand, der sagt: „Wenn du jemanden vom Stuhl schmeißen willst, dann schmeiß ihn vom Stuhl. Und sag es ihm vorher nicht.“ In dem Moment, wenn die Kamera drauf hält, einfach Sachen tun, die Leben haben. Und dementsprechend glaube ich, hat er den Kollegen gesagt, dass sie nicht rücksichtsvoll sein sollen. Was ja auch geholfen hat – aber mich in dem Augenblick schockiert. Für die Szene war das gut. Es hilft, wenn du gute Leute um dich hast, die so etwas rauskitzeln.
Paganini wird oft als der erste Rockstar bezeichnet. Und du wirst auch als Rockstar der klassischen Musik gehandelt...
Rockstar ist eigentlich eine Bezeichnung, die dafür steht, dass man natürlich ein großes Talent, aber auch Charisma hat. Ich glaube, du kannst spielen wie du willst, aber du musst die Leute dabei faszinieren. Und das kannst du nur über Leidenschaft und Charisma. Es gibt ganz tolle Musiker, die bringst du auf die Bühne und da fallen sie auseinander oder die Menschen haben irgendwie keine Verbindung zu ihnen, weil sie zu introvertiert sind. Wobei introvertiert nicht falsch ist, aber selbst im Introvertierten musst du faszinieren können. Ich glaube, ein Teil meines Talents ist es, auf die Leute zuzugehen und keine Berührungsängste mit dem Publikum zu haben und auch Dinge erklären zu wollen. Ich glaube, dass man Menschen unterschätzt, dass man junge Menschen viel zu sehr unterschätzt. Wenn du Kinder vor dir hast und denen mit Freude etwas erklärst, hast du das tollste Publikum überhaupt! Es sei denn, du bist jemand, der irgendwie abgehoben ist und denkt „Ach weißt du was, die haben doch eh keinen Bock und verstehen das nicht.“ Du musst auf Leute zugehen können. Ich finde, das kann ich ganz gut.
Stichwort „Publikum“ und „Rockstar“: Wenn dir nachher auf am Roten Teppich jemand aus der Menge eine Geige hinhält – würdest du sie signieren? Rockstars signieren ja gern Gitarren.
Es kommt auf die Geige an. Ich würde nie ein Kunstwerk wertschädigen. Aber wenn es eine Geige ist, die man signieren darf, sprich, eine Geige, die keine richtige Wertigkeit hat, einfach nur, weil es kein gutes Instrument ist – und da gibt’s ja genug von… Ich will jetzt nicht sagen, dass sie durch meine Signatur eine Aufwertung kriegt, aber zumindest wäre es nicht weniger wert (lacht). Wenn ich sehe, dass das Instrument einen gewissen Wert hat, kritzle ich nicht meinen Namen drauf.
Ich habe neulich eine Aufnahme von dir gesehen, da spielst du bei einem Konzert und hast keinen Bart – ich hätte dich fast nicht wiedererkannt. Gehört dein Bart zu deinem Image so wie der exzentrische Kleidungsstil zu Paganini?
Ich bin jemand, der Bequemlichkeit lebt und liebt und ein Fan von allem, das schnell funktioniert und relativ unkompliziert ist. Mir ist es lieber, Sachen vorzubereiten und Geschäftliches zu erledigen. Oder auch einfach Dinge, die mir persönlich Spaß machen, zu tun, als irgendwie im Badezimmer zu versacken. Bei mir dauert das zehn, fünfzehn Minuten morgens.
Wenn es zu Paganinis Zeit schon dieses Gesetz gegeben hätte, das Musik in E- und U-Musik unterteilt – was denkst du, wäre seine Musik gewesen?
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie was mit der Einteilung E und U anfangen können. Ist nicht Musik immer unterhaltend? Sollte es zumindest sein.
Dachte ich auch…
Ich halte es mit Bernstein: „Es gibt gute und es gibt schlechte Musik.“ Und gute Musik ist immer unterhaltend. Schlechte Musik ist auch unterhaltend, aber nur für eine ganz, ganz kurze Zeit, dann wird’s lächerlich.
Du hast ja Komposition studiert und auch für den Film die Orchester-Arrangements geschrieben. Wann denkst du, ist das Publikum reif für ein „David Garrett spielt David Garrett“-Album?
Das kommt hoffentlich irgendwann!
Ja?
Ich muss auch noch dazu sagen, dass ich schon viele Sachen selber geschrieben und auch gespielt habe. Auf meinem neuen Album Garrett vs Paganini, ist der Track mit Andrea Bocelli von mir. Und ich habe auf jedem Album immer ein, zwei Stücke gehabt, die ich selbst geschrieben habe. Aber ein gesamtes Album nur mit eigenen Sachen ist natürlich ein großer Reiz und sicherlich ein Projekt, das ich auf dem Radar habe.
Der Film und das neue Album – sind die Teil eines großen Ganzen? Deines Plans, einem Publikum, was bisher nicht so viel mit klassischer Musik anfangen konnte, diese näher zu bringen?
Das mache ich doch schon seit Jahren! „Teil des Ganzen“ - das hört sich immer so an, als wenn man sich irgendwann mal vor zehn Jahren überlegt hat, wie alles aussehen soll. Das sind ja alles Dinge, die sich von einem Projekt zum nächsten entwickeln, sowas kann man nicht planen. Als ich den Film gemacht habe, wusste ich auch nicht, wie das funktioniert. Das kommt dann peu á peu, jeden Tag versuchst du, es besser zu machen, hast neue Ideen. Und manchmal hast du auch einen schlechten Tag und eine schlechte Idee und dann rufst du am nächsten Tag an und sagst „Alles wieder zurück!“. Hat es dann aber schlussendlich wunderbar funktioniert? Ja. War es chaotisch? Mit Sicherheit!
Joely Richardson (spielt Times Reporterin Ethel Langham, Anm. der Red.) hat gesagt, dass sie sich vorstellen kann, dass jeder, der diesen Film sieht, Fan klassischer Musik wird. Siehst du das genau so euphorisch?
Das ist super süß! Ich bin ein Riesenfan von Joely und freue mich, dass sie das gesagt hat – sie ist eine sehr weise und intelligente Frau. Und wo sie recht hat, hat sie recht.
Denkst du, es ist für heutige Kinder und Jugendliche verlockender, sich für klassische Musik zu interessieren und zu begeistern, in einer Welt, in der es einen David Garrett gibt, der ihnen zeigt: Es geht auch richtig cool?
Jein! Ich glaube, dass viele Jugendliche und Kinder ein Stück weit fasziniert sind, weil ich eine gewisse Normalität in den Beruf bringe, die es früher doch gegeben hat. Ich versuche, nicht abgehoben zu sein und auch ernste Musik, die ja immer Unterhaltungsmusik war, als Unterhaltungsmusik zu präsentieren, weil es ja auch völlig normal ist. Insofern bringe ich die klassische Musik wieder dahin, wo sie herkommt – als großartig kulturelle Unterhaltung. Musik, wie sie es immer gewesen ist. Und das macht die Sache natürlich auch ein Stück weit etwas einfacher zu verdauen.
Zu Paganinis Zeiten glaubten die Menschen an den Teufel. Du hast mal in einem Interview gesagt, dass du weder an Glück, noch an Pech, noch an Schicksal glaubst. Woran glaubst du?
Ich glaube an... (überlegt)
Dich selbst?
Ja. Und ich glaube an Menschen, die mir nah und wichtig sind. Und ich glaube, dass man, wenn man positiv mit Menschen umgeht, dies auch zu einem zurückkommt. Natürlich bin ich auch nur ein Mensch und mache auch Fehler, aber ich glaube wirklich, wenn man sich ein positives Umfeld schafft und ein Ziel hat und daran Spaß hat, dass es auch funktioniert. Viele Leute stehen sich selbst im Weg, weil sie immer die Schuld bei anderen suchen. Ich glaube, durch diese Attitüde machst du dir selbst das Leben schwer. Wenn Fehler passieren, sollte man in allererster Linie die Schuld bei sich selbst suchen. Manchmal ist das richtig, manchmal ist es falsch. Aber ich bin jemand, der zuerst das Positive und das Negative akzeptiert und dann aber auch weitermacht. Das ist genau so, wie mit dem Im-Gestern-Leben. Das kann ich auch nicht. Es ist schon schwierig genug im Heute zu leben. Ich bin ein Mensch fürs Morgen. Was machen wir morgen?