Sonderthemen David Garrett

Junger Wilder mit Visionen

Ein Mann als Marke: Der Geiger David Garrett wird als Persönlichkeits-Superbrand ausgezeichnet. Seit er Klassik auf lässige Art mit Popkultur verbindet, wird er als Crossover-Star gefeiert.

http://se.uploads.ru/t/Eok1N.jpg
Foto: Rated+Chosen
Die blonde Mähne als Markenzeichen: David Garrett begeistert seine Fans mit Fünf-Minuten-Klassik-Häppchen. Er mixt Grieg und Bruch mit den Beatles oder Metallica

Die Hand mit dem Totenkopfring führt den Bogen energisch über die Saiten. In Jeans und Sakko stampft der Blondzopf mit den schnürsenkellosen Schaftstiefeln auf den Bühnenboden. Feuersäulen schießen in die Luft. Hinter der Bühne warten die Groupies. Vor der Bühne bringt das Violinkonzert von Johannes Brahms die Zuhörer zum Mitwippen. Im dritten Satz beginnt eine Dame, im Rhythmus zu klatschen.

Mitklatschen bei Brahms? Das gibt es nur bei David Garrett. Er bringt die großen klassischen Werke aus den hehren Konzerttempeln in die Hallen und Arenen. Er spielt Beethoven und Tschaikowsky auf eine Art, die die Massen begeistert. Der Geiger wirft klassische Traditionen über Bord. Er braucht keinen Frack und keine absolute Ruhe. Anders als klassische Virtuosen freut er sich, wenn seine Fans zwischen den Sätzen in Applaus ausbrechen.

пока на немецком

Vom Wunderkind zum Weltstar

Wunderkind

David Garrett kam 1980 in Aachen als Sohn eines Juristen und einer Primaballerina zur Welt. Mit vier Jahren begann er, Geige zu spielen. Während seiner ersten Karriere als Wunderkind prophezeiten ihm Stars wie Yehudi Menuhin und Zubin Mehta eine große Zukunft. Mit 19 Jahren zog er nach New York, um bei Itzhak Perlman zu studieren.

Superstar

Danach erfand er sich neu und begann, neben Klassik auch Pop, Rock und Filmmusik zu spielen. Im Herbst 2007 erschien in Deutschland sein erstes Cross-over-Album „Virtuoso“. Seitdem füllt der Superstar Hallen und Stadien, ist bis zu 330 Tage im Jahr auf Tournee und wurde sieben Mal mit dem „Echo Klassik“ ausgezeichnet.

David Garretts weltweiter Erfolg als Superstar des Cross-over, der für Klassik und Pop seine eigenen Regeln erfindet, macht den Geiger aus Aachen zu etwas ganz Besonderem, zu einer einzigartigen Marke. Deshalb hat die Superbrand-Jury ihn einstimmig zur Persönlichkeitsmarke des Jahres gewählt. "Wer je das Glück hatte, eines seiner Konzerte zu besuchen und die hohe Entertainment-Qualität – nicht zuletzt auch von Davids Anmoderationen – zu erleben, dem kommen traditionelle Klassik-Konzerte danach recht ,old school' vor", erklärt Jurymitglied Hans Christian Biedermann.

David Garrett ist in diesen Tagen wieder in ganz Europa unterwegs. Brahms in Moskau und Turin, Max Bruch in Neapel, die Arbeit am nächsten Album in London, dann die Vorbereitung auf die Cross-over-Tour im Sommer. Trotz des vollen Kalenders freut er sich sehr darauf, in Berlin die Superbrands-Auszeichnung entgegenzunehmen: "Das ist eine tolle Anerkennung meiner Arbeit. Ich widme den Preis meinem Team, den Menschen, die seit vielen Jahren für mich arbeiten."

Weg mit dem Frack!

Der Saitenstar stand schon früh auf der Bühne. Als Wunderkind spielte er in den Konzerthäusern der Welt. Irgendwann fiel ihm auf, dass im Publikum keine Zuhörer in seinem Alter saßen. Er begann darüber nachzudenken, dass er offenbar einen Beruf für Sechzigjährige ausübte. Und er wollte nicht vierzig Jahre warten, um Konzerte für Gleichaltrige zu spielen.

Er streifte den Frack ab und erfand gemeinsam mit dem einflussreichen Konzertmanager Peter Schwenkow die Marke "David Garrett": den coolen Geigen-Beau mit der blonden Mähne, den Klassik-Rebell in offenen Boots mit Totenkopf-Symbolen. Er zerlegte die klassischen Werke in Fünf-Minuten-Häppchen, mixte Grieg und Bruch mit Beatles, Led Zeppelin, Metallica, Nirvana und Filmmelodien. Er brach das übliche Schweigen auf der klassischen Konzertbühne, erzählte zwischen den Stücken kleine Anekdoten über das Tourleben oder den Schwarzmarkt von Bangkok. Er ließ sich mit freiem Oberkörper ablichten und tingelte durch sämtliche TV-Sender und Talkshows. Kurz gesagt: Der klassisch ausgebildete Geiger ließ sich wie ein Popstar vermarkten und hat damit seit 2007 einen Riesenerfolg.

"Ich möchte die klassische Musik einem neuen Publikum näherbringen, das wird mir mein Leben lang am Herzen liegen", sagt David Garrett zu seiner Mission. Kritiker aus der klassischen Musikwelt finden, dass sich der Geiger statt der Kunst dem schnöden Kommerz hingibt. Im U-Musik-Lager halten viele die Kombination von Rocktiteln und Sinfonieorchester für fragwürdig. Unterdessen schürft David Garrett Plattengold, füllt riesige Messehallen, spielt vor Barack Obama, Angela Merkel und der Queen. "Ich unterscheide nicht zwischen E-Musik und U-Musik. Schließlich war die klassische Musik früher auch Unterhaltungsmusik", meint David Garrett. Seine Aufnahme von Beethovens Violinkonzert hat Platin-Status erreicht. Sonst verkaufen sich Violinkonzerte zwei- bis fünftausend Mal.

"Ich möchte die klassische Musik einem neuen Publikum näherbringen, das wird mir mein Leben lang am Herzen liegen"
David Garrett
Crossover-Geiger

Die meisten erfolgreichen Cross-over-Künstler, die auf die Mischung zwischen Klassik und Pop setzen, sind Sänger. Man denkt sofort an Die drei Tenöre, Andrea Bocelli oder Katherine Jenkins. Aber auch unter den klassischen Geigern gibt es eine lange Tradition der eigenwilligen Showgrößen. Es ist kein Zufall, dass David Garrett Niccolò Paganini als sein Vorbild nennt und ihn auch im Film verkörpert hat. Mit dem Teufelsgeiger hat er einiges gemeinsam.

Wie der Italiener wurde auch Garrett früh von einem ehrgeizigen Vater gedrillt. Der Jurist wäre selbst gern Geiger geworden und übertrug seinen Wunsch auf seine Kinder. Da sich Davids älterer Bruder unter dem Bett versteckte, wenn er üben sollte, bekam der Vierjährige die Geige. Mit zehn gab er sein erstes Konzert mit Orchester, mit dreizehn war er der jüngste Solist bei der Plattenfirma Deutsche Grammophon. Er wurde zum gefeierten Wunderkind – wie Paganini. Irgendwann brach er wie sein Vorbild aus dem engen Korsett des Klassikbetriebs aus, scherte sich nicht mehr um Konventionen.


Der schnellste Geiger der Welt

Paganini brillierte mit virtuoser Hochgeschwindigkeit, die sein Publikum verhexte. David Garrett stand eine Zeit lang als "schnellster Geiger der Welt" – 13 Töne pro Sekunde – im "Guinness"-Buch der Rekorde. Vor allem war der Teufelsgeiger im 19. Jahrhundert der erste Künstler, der sich bewusst zur Persönlichkeit stilisierte und damit die Massen begeisterte. Er war der erste Rockstar unter den Geigern, aber nicht der letzte. André Rieu beschränkt sich auf die Neuerfindung des Wiener Walzers. Nigel Kennedy passte als Enfant terrible mit Irokesen-Haarschnitt wunderbar auf die Bühnen der 80er- und 90er- Jahre.

Die Eventkultur des neuen Jahrtausends aber verlangte nach einer neuen Marke, einem geheimnisvollen Märchenprinzen mit Sex-Appeal, einem jungen Wilden mit Visionen, der Emotionen teilen und junge Klassikfans gewinnen will: nach dem über alle Grenzen hinweg geigenden Superstar David Garrett.

© WeltN24 GmbH 2015. Alle Rechte vorbehalten

http://www.welt.de/sonderthemen/superbr … ionen.html