Garrett und Bell
Sie sehen gut aus, haben Erfolg und bewegen sich zwischen Klassik, Kitsch und Pop – die Geiger David Garrett und Joshua Bell FREDERIK HANSSEN
Das Faszinierende an David Garrett ist: Der Klassikpop-Star glaubt wirklich an das, was er tut. Er lebt das Prinzip Crossover, ist fest davon überzeugt, kulturferne Schichten für die sogenannte ernste Musik begeistern zu können, indem er die schönsten Melodien der Vergangenheit als Chart-Hits präsentiert.
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Seine Karriere begann der in Aachen geborene Sohn amerikanisch-deutscher Eltern als Wunderkind. Mit zehn Jahren durfte er seine erste CD einspielen, nahm sogar unter Claudio Abbado auf. Dann aber sagte sich David Garrett von seinen überehrgeizigen Eltern los, ging nach New York, schlug sich alleine durch, auch als männliches Model. Vor allem aber hielt er in Ruhe Zwiesprache mit seinem Instrument, bis er fand, die Zeit sei nun reif für einen zweiten Anlauf. Lange musste er mit seiner Crossover-Idee bei den Plattenfirmen hausieren gehen. Schließlich konnte sich Warner Music dazu durchringen, den wilden Stilmix aus traditionellen Zugaben, Musical-Schnulzen und Rockballaden zu veröffentlichen. Die CD „Virtuoso“ schlug ein wie eine Bombe, der attraktive Geiger wurde durch die Medien gereicht, machte bei „Wetten, dass“ eine gute Figur, plauderte sympathisch in Talkshows und war plötzlich der Hit der Saison. Nachdem die erste CD Goldstatus erreicht hatte, schob er mit „Encore“ eine zweite nach, die es sogar zu Platin brachte.
Wie so oft bei extrem erfolgreichen Unterhaltungskünstlern, war der 28-Jährige nicht zufrieden. Er wollte sich neben der Liebe der Massen auch noch die Hochachtung der Kenner erringen. Also spielte er „Classic Romance“ ein – und geriet zwischen die Stühle. Die Optik nämlich entspricht dem üblichen Beuteschema: Das Hemd aufgeknöpft, ein Totenkopfkettchen umgelegt und die Geige lässig über die Schulter geworfen wie eine E-Gitarre. Garretts PR-Agentur, so vermutete jüngst die „Süddeutsche Zeitung“ sei wohl der Meinung, dass die Jugend „nur das wirklich liebt, was sie auch gerne, nun ja, ficken würde“. Das Repertoire aber ist, wie gesagt, diesmal seriös: Tschaikowsky, Dvorak, Elgar, Mendelssohn und Co. – klassisches Kernrepertoire.
Dass sich David Garrett mit „Classic Romance“ kaum neue Kritiker-Freunde machen wird, liegt nicht an seinen technischen Fertigkeiten. Er vermag durchaus, Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert fehlerfrei zu spielen. Als Interpret jedoch ist er tendenziell zu phlegmatisch. Sein Ton ist recht dünn und arm an Klangfarben, was dann doch etwas verwundert, da er ja eine Stradivari sein Eigen nennt. Durch das Fehlen ausgeprägter Spannungsspitzen empfiehlt sich die Aufnahme immerhin als Klangtapete für die gehobene Gastronomie.
Richtig schwierig aber wird es bei den sieben Zugabenstückchen, die auf der CD entgegen der üblichen Praxis vor dem Hauptwerk platziert sind. Denn Garrett hat einige Titel bearbeitet. Dass die Originalpartituren bei unzähligen Wunschkonzerten ihre Publikumswirksamkeit unter Beweis gestellt haben, ist ihm egal. Er spielt Gott, formt sie sich nach seinem Geschmack neu. Mit der verheerenden Folge, dass die Stücke nun klingen wie banale Filmmusik.
Dvoraks „Humoreske“ beispielsweise, die nichts sein will als eine charmante Petitesse, donnert Garrett zum love-theme auf: In einem hinzugedichteten Vorspiel zupft die Harfe zu seifigen Liegetönen der Streicher, während zwei Flöten in parallelen Terzen den Motiv-Kopf vorstellen. Über einen superflauschig gemachten Streicherteppich schreitet der Solist dann voran, frei erfundenes Paukengedonner leitet das Orchesterzwischenspiel ein, die Violingruppe geht in treibende Beats über, Garrett drückt auf die Sentiment-Tube, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen, bevor das vergewaltigte Stück in einer extra angefertigten Zuckerguss-Coda mit Fade-Out-Effekt seinen letzten Seufzer tut.
Kitsch, so hat es Theodor W. Adorno zu definieren versucht, ist die Vortäuschung nicht vorhandener Gefühle, die zur Neutralisierung des ästhetischen Phänomens führt. So entsteht Kunst, die nicht ernst genommen werden kann, aber dennoch ästhetischen Ernst postuliert. Vom Wunsch getrieben, die Leute dort abzuholen, wo sie stehen, zerstört David Garrett ohne Not musikalische Strukturen, die von den Komponisten ja nicht aus Jux und Dollerei konzipiert wurden.
Die betörende Wirkung von Jules Massenets „Méditation“ beruht zum großen Teil darauf, dass die Begleitung jeweils aus sieben aufsteigenden Tönen und einer kurzen Pause besteht, bevor die himmelstrebende Arpeggio-Bewegung erneut einsetzt. So wird der Solist in die Lage versetzt, mit seiner Melodie schwerelos über dem Orchester zu schweben. Garrett vergröbert diese filigrane Struktur auf effekthascherische Weise: Die Harfen wogen auf und ab, Paukenwirbel, die nur ein Hintergrundgrollen sein sollen, werden überbetont, Echowirkungen neu eingefügt, später dramatisierende Streicher-Tremoli, in der Coda schließlich zusätzliche Hörnerstimmen, die da nicht hingehören. Zudem atmet Garrett nicht mit der Musik, seine Phrasierung, gerade am Schluss, ist trivial statt raffiniert. Jede Menge Wirkung ohne Ursache also. Kitsch eben. Erschreckend, dass sich ein seriöses Ensemble wie das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin für so was hergibt.
Auch der amerikanische Geiger Joshua Bell hat jüngst ein Album veröffentlicht, das sich unter dem Stichwort „Kitsch“ einordnen lässt. Zu Garretts CD allerdings verhält es sich so, wie es Karl Kraus einst über die Hauptstädte Deutschlands respektive Österreichs gesagt hat: „Was Berlin von Wien auf den ersten Blick unterscheidet, ist die Beobachtung, dass man dort eine täuschende Wirkung mit dem wertlosesten Material erzielt, während hier zum Kitsch nur echtes verwendet wird.“ Als ernsthafter Interpret ist Joshua Bell über alle Zweifel erhaben. Aber er ist auch ein geselliger Mensch, der gerne einen bunt zusammengewürfelten Freundeskreis in sein New Yorker Domizil einlädt. Statt um einen Beitrag ins Gästebuch, bittet er die Besucher, ein Stück zum Besten zu geben. Weil sich hier Künstler aller Genres begegnen, entsteht im Laufe eines Abends eine wilde ästhetische Melange.
Unter dem Titel „At Home with Friends“ hat Joshua Bell so eine Soirée nun für die CD nachgestellt: 14 Kollegen hat er versammelt, Tracks in 14 verschiedenen Stilen aufgenommen. Hier wird nichts für ein Zielpublikum geschmacklich zurechtgebogen, sondern jeder macht das, was er am besten kann: Sting frönt seiner Liebe zu englischer Renaissance-Musik, Chris Botti spielt Lounge- Jazz, Carel Kraayenhof Piazzola-Tangos. Kristin Chenoweth repräsentiert das Musical, Josh Groban schnulzt im Andrea-Bocelli-Stil, Dave Grusin betört mit Bossa- Nova-Lässigkeit.
Die einzige Konstante ist Joshua Bell, der sich, ganz höflicher Gastgeber, mit smartem Geigenklang den unterschiedlichen Stilen anschmiegt. Ob traditioneller Fiddler-Sound, ob südamerikanische Rhythmen oder Ethno-Pop, Bell beweist Chamäleon-Qualitäten, umschmeichelt elegant die Singstimmen, fügt den Stücken improvisierend ein paar Extra-Melismen hinzu. So verführerisch und klangsinnlich Bell dabei auch zu spielen versteht, eigentlich sind seine Extraportionen bei keinem der Stücke wirklich vonnöten. Der Purist mag darum „Kitsch!“ rufen und sich mit Grausen wenden. Wer sich jedoch vom New York Cheesecake immer ein extragroßes Stück abschneiden lässt, wird diese kalorienmaximierte Musik-Kost goutieren. Weil „At Home with Friends“ keine billige Anmache ist, sondern ein charmantes Ablenkungsmanöver, so einlullend-unterhaltsam wie eine romantische Komödie. Joshua Bell ist eben der Hugh Grant der Klassik. Und Garret leider nur der David Hasselhoff.