Das ist doch mal ein Netter. Am nun schon einige Zeit währenden großen Erfolg des Geigers David Garrett – sein Stuttgarter Konzert am Mittwochabend füllte die Schleyerhalle sehr weitgehend – hat dieser Eindruck zweifellos großen Anteil: Der Mann ist nett, locker, unkompliziert in Jeans und Jackett, mit Schlappstiefeln und Zottelzopf. Je nach eigenem Alter kann man in ihm alles mögliche sehen: den guten Kumpel, den lustigen Enkel, den großen Bruder, den leckeren Kerl, den aufmüpfigen, aber doch stolz machenden, weil genialen Sohn.
Er selbst sieht sich zwar als musikalischer Rebellen, und im Logo seiner aktuellen Tournee „Classic Revolution“ findet sich auch der rote Stern, den früher die kommunistischen Parteien vor sich hertrugen. Aber es ist ein nettes, lockeres, unkompliziertes Rebellentum, absolut familienkompatibel. Das zeigt sich auch an seinem Publikum in Stuttgart, das von Eltern mit schulpflichtigen Kindern bis hin zu durchaus konzertfein gekleideten älteren Herrschaften alle Generationen vereint. Respekt, das muss man erst mal schaffen.
Während der 34-jährige Künstler vor einem Jahr noch mit einem explizit klassisch ausgerichteten Programm durch kleinere Säle tourte, lässt er es nun auf seiner großen Hallentournee wieder ordentlich crossovermäßig krachen. Die an sich personell schon ordentlich aufgestellte Neue Frankfurter Philharmonie wird in der ersten Reihe noch verstärkt durch E-Gitarre, Schlagzeug, Klavier und einen DJ am Mischpult. Und nach einem kurzen Video-Einspieler mit Sonnenaufgang und den ersten Takten von „Also sprach Zarathustra“ tritt der Star selbst – klare Botschaft – mitten aus dem Publikum auf, kommt von unten auf die Bühne. Und ab geht die Post.
Der Klassikanteil ist diesmal gering
Denn geigen kann Garrett nun tatsächlich wie ein junger Geigengott. Die große Technik ist für ihn kein Problem, Finger und Bogen rasen nur so über die Saiten (per Bühnenkamera für alle im Saal gut zu verfolgen). Mit viel Schwung, Schmackes und ordentlich Hall werden Pop- und Rockklassiker von Springsteen und Bon Jovi, von Abba bis Coldplay kraftvoll klassifiziert, ein bunter Strauß beliebter SWR-1-Hits zum Mitwippen, Mitrocken, Mitklatschen und in jedem Fall Mitmachen. Auf Dauer ist das für den Künstler ebenso schweißtreibend wie für die Zuhörer. Eben so wünscht es sich das Publikum. Alles richtig gemacht.
Der Klassikanteil an diesem Classic-Revolution-Programm ist allerdings überschaubar und erreicht mit vier kurzen Stücken von Mozart, Orff, Beethoven und Verdi rund 15 Prozent. Das Lacrimosa aus Mozarts „Requiem“ oder eine kleine Motivkette aus Beethovens Klaviersonate „Pathetique“ ist im übrigen ebenfalls rocktechnisch so aufgetunt, dass man darin auch ein Werk der an diesem Abend ohnehin schon vertretenen Metal-Macker von Metallica vermuten könnte.
Mozart à la Metallica
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Auch das Fernsehballett schwingt das Bein
Tim Schleider, 09.10.2014 10:27 Uhr
Egal, hier ist große Halle und hier gibt Garrett alles, was eine große Halle braucht. Knapp drei Stunden dauert der Abend, den der Star auflockert durch das Erzählen von Anekdoten aus seinem Familienleben (beispielsweise erfahren wir, dass die Mutter seinen Kühlschrank besorgt nach verdorbenen Lebensmitteln durchsucht) oder dem harten Künstleralltag (auf US-Tournee musste er mal nachts mit Ohrstöpseln und Kopfhörer schlafen, weil im Hotel gerade der Jahreskongress der amerikanischen DJ-Szene tobte). Oder die hübsche Ulrike darf aus dem Publikum auf die Bühne, und dort spielt er Elton Johns „Your Song“ für sie Wange an Wange an Geige.
Und wenn dann zwischendurch auch noch drei Tänzerinnen und zwei Tänzer des Deutschen Fernsehballetts auf die Bühne stürmen und mexikanisch gewandet zum unverwüstlichen „La Bamba“ die Beine schwingen, fühlt man sich endgültig wie in einer großen TV-Unterhaltungsshow: bunt, knallig, fetzig, immer sympathisch, stets zuvorkommend.
Sicher, David Garrett ist so gut, dass er sich auch an einem solchen Abend durchaus mal einen Tick mehr trauen könnte, seine Fans noch eine Spur mehr fordern. Eingefangen hat David Garrett sie längst. Jetzt müsste er sie nur noch neugierig machen. Aber der Mann ist ja noch jung. Da geht noch was.