Иоганн Себастьян Бах - мой король и мой кумир
„Johann Sebastian Bach ist mein König und mein Idol“
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25. April 2019 Autor: Markus Mertens
Klassik-Pop-Crossover: Interview mit Stargeiger David Garrett über die Grenzenlosigkeit seiner Musik, Kritik, physische Schmerzen, ständige Selbstüberbietung, Vorbilder und die zentrale Rolle seines Instruments.
Mit neun Jahren galt David Christian Bongartz als Wunderkind der Geige – mit 19 emanzipierte er sich unter dem Künstlernamen David Garrett vom eigenen Erfolg und beschritt einen musikalischen Weg zwischen Anspruch und Kommerzialisierung, der bis heute kontrovers diskutiert wird. Denn während die Fans einen Superstar im Aufstieg auf seinem Weg geleitetet haben, dem es gelungen war, sein Instrument auch fernab der Klassik populär zu machen, betrauerten die Traditionalisten einen gefallenen Engel ihrer Zunft. Im vor Abdruck autorisierten Telefoninterview spricht der heute 38-Jährige vor seinem Konzert am Montag, 27. Mai, in der Mannheimer SAP Arena daher pflichtgemäß über die Grenzenlosigkeit seiner Musik, reflektiert aber auch die Mechanismen der Branche mit seltener Offenheit. Ein Gespräch über hohe Ziele und die Grenzen des Ehrgeizes.
Herr Garrett, als Sohn eines Geigenauktionators haben Sie die ersten Prunkstücke von Amati und Stradivari vermutlich schon gesehen, als Sie das Wort Violine noch gar nicht aussprechen konnten – prägt das?
David Garrett: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mich dieser Kosmos nicht fasziniert hätte. Tatsächlich war es aber eher die Eifersucht auf meinen älteren Bruder, die für mich die Geige interessant machte. Denn was er hatte, wollte ich natürlich auch. Eigentlich ein banaler Hintergrund, aber mit wunderbarem Ergebnis.
Wer, wie Sie, auf eine Tour geht, die er „Unlimited“, also „Grenzenlos“ im Wortsinn nennt, gibt ein großes Motto aus, das täglich neu mit Inhalt gefüllt werden muss. Bekommt man da keine Probleme mit der eigenen Hybris?
Garrett: Offen gestanden gehe ich mit großer Spannung und Freude auf diese Tour. Denn der internationale Erfolg war etwas, das ich mir so nicht hatte erträumen können. Mein Anspruch war schon, dem älteren Publikum, für das ich schon früh in meiner Karriere gespielt habe, ein jüngeres hinzuzufügen, dem man auch etwas wirklich anderes anbieten kann. Dass das aber so grandios ankommen würde, damit hat wirklich niemand gerechnet.
Trotzdem ist Ihre Biographie an Brüchen nicht arm – es gibt nicht wenige, die in Ihnen den nächsten Yehudi Menuhin sahen. Sind Sie mit sich selbst im Reinen?
Garrett: Absolut. Ich habe immer das Beste aus beiden Bereichen herausgeholt, mit Einspielungen von Beethoven und Brahms gezeigt, dass ich die Klassik nicht vergessen habe, und denke, dass mir der Erfolg da auch Recht gibt.
Genau der ist Ihnen ja aber nicht selten von jenen zum Vorwurf gemacht worden, die in Ihnen das verlorene Schaf der Klassik sahen. Schluckt man das einfach so?
Garrett: Ich sehe das ganz klar als Motivation. Natürlich kann man Kritik als deprimierend verstehen – oder man steht zu dem, was man macht. Ich habe die Dinge in meinem Leben immer mit Qualität, mit großem Verständnis und Respekt betrieben, egal, ob es um Klassik, Pop oder Rock ging. Und wenn man das weiß, prallt die Kritik zwar nicht an einem ab, aber man nimmt sie irgendwann nur noch sekundär war.
Sie haben mit 17 alle Paganini-Capricen eingespielt, täglich acht Stunden geübt. Denken Sie sich heute manchmal: Ich habe mich zu sehr geschliffen?
Garrett: Das hat schon auch mal physisch wehgetan, aber es ist doch normal, dass man als junger Mensch große Ambitionen hat und die eigenen Leistungsgrenzen austesten will. Du weißt noch nicht, wann dein Körper nicht mehr mitmacht. Und auch wenn du dich und dein Limit über die Jahre hinweg immer besser kennenlernst: Irgendwann wird es zu viel.
Sie haben diese Grenzen mit Ihrem Bandscheibenvorfall ja selbst deutlich aufgezeigt bekommen. Sind einem solche Einschnitte eine Lehre?
Garrett: Das ist die andere Form von Disziplin, in solchen Momenten die richtigen Entscheidungen zu treffen und dann eben auch einiges abzusagen. Ganz klar, das war keine leichte Zeit, aber ich hatte zum Glück ein Team hinter mir, das vollstes Verständnis dafür hatte, dass wir pausieren, bis ich wieder hundertprozentig gesund bin. Ein Konsens, für den ich sehr dankbar war, weil wir wissen, dass wir alle noch lange miteinander zusammenarbeiten wollen. Aber es ist schon richtig: Man lernt in solchen Momenten, dass Druck auch Gift sein kann und die Erholung ein notwendiges Gut ist, das nicht auf der Strecke bleiben darf.
Haben Sie denn nie den Eindruck gehabt, dass Sie sich von Programm zu Programm zunehmend selbst besiegen müssen? Nach dem Motto: David gegen David?
Garrett: Der Ansporn ist schon, immer wieder etwas Neues und Aufregendes auf die Beine zu stellen, aber ich habe sehr viel Glück, da ich ein Mensch bin, der sehr neugierig ist und ständig Ideen entwickelt. Insofern ist es noch nie so gewesen, dass ich vor der Konzeption einer neuen Show wirklich ratlos gewesen bin. Nach einer sehr langen Tournee ist es schon so, dass man erst einmal Zeit für sich braucht, um sich von den Strapazen zu erholen. Aber dann fallen mir meist sogar spontan die besten Dinge ein. Ich kann mich nicht immer mit der letzten Tour messen, aber man muss jede Show als eigenständiges Projekt sehen – mit dem Anspruch etwas wirklich Neues zu kreieren.
Von Super Mario bis Michael Jackson haben Sie versucht, sich die Welt melodisch zu eigen zu machen. Wie begegnet man da dem Vorwurf der Beliebigkeit?
Garrett: Um beliebig zu sein, spiele ich ein viel zu spezielles Instrument. Zumal ich mit jedem Top-Dirigenten und den bekanntesten Orchestern weltweit zusammenarbeiten durfte und glauben Sie mir: Die laden mich nicht ein, weil ich so schöne Haare habe (lacht).
Hadern Sie denn mit Ihrer Attraktivität?
Garrett: Überhaupt gar nicht und das ist ja auch völlig subjektiv. Ein gewisses Aussehen öffnet vielleicht manche Türen, aber ich spiele doch nicht besser oder schlechter Geige, weil man mich für schön hält.
Kommen Sie schon, das Aussehen hat mit dem Marketing nichts zu tun? Das behaupten Sie jetzt nicht wirklich…
Garrett: Nun ja, Elvis Presley sah doch auch gut aus und war gleichzeitig ein toller Typ und Sänger. Wir können ihm deswegen seine Optik doch nicht zum Vorwurf machen. Wenn jemand neben seinem Talent auch noch eine gewisse Attraktivität mitbringt: Warum soll man das denn nicht nutzen und vorantreiben? Ich sehe das überhaupt nicht als verkehrt. Wenn man ein tolles Produkt hat, kann man das mit einer tollen Verpackung doch auch anpreisen. Schokolade von Lindt würde man doch auch nicht roh in einem verlotterten Karton anbieten.
Solange man selbst nicht zum Produkt wird, das am Ende missbraucht wird…
Garrett: Um im Bild zu bleiben: Wenn die Schokolade nicht schmeckt, bringt auch die schönste Verpackung nichts.
Dabei haben Sie sich die Verpackung mit Auftritten bei „Wetten, dass..?“ und „TV Total“ ja durchaus selbst ausgesucht. Sicher nicht mit dem Anspruch ästhetischer Erziehung, oder?
Garrett: Erziehen will ich niemanden, aber es ist schon mein großer Traum, möglichst viele Menschen von einem Instrument zu begeistern, das viel mehr kann, als die meisten glauben. Das Merkwürdige an der Geschichte ist, dass Promotion im Rock, im Pop und im Jazz völlig selbstverständlich ist und ich mich aber in der Klassik regelmäßig dafür entschuldigen muss. Dabei sollten wir doch eigentlich stolz darauf sein, was für Musik wir hier spielen dürfen.
2003 haben Sie mit einer Fuge im Stil von Johann Sebastian Bach den Kompositionswettbewerb der hochrenommierten Julliard School in New York gewonnen – wann darf man denn das erste Album mit eigenen Stücken erwarten?
Garrett: Auf „Explosive“ etwa stammen ja 80 Prozent der Stücke von mir, auch die Filmmusik zum Film „Paganini“ habe ich mitgeschrieben, also ist es ja nicht so, dass ich auf meinen Alben selbst nie komponiert hätte. Aber es stimmt schon, dass mich ein ganz eigenes Projekt reizt. Ich habe auch schon unglaublich viel Material für ein solches Album, aber dafür brauchst du den richtigen Moment. Und wann das der Fall ist, weiß ich heute noch nicht.
Das klingt ja zumindest für die Fans, als sei das aktuelle Best-of-Album mit Sicherheit kein Ende…
Garrett: Auf keinen Fall! Das ist nur ein weiteres Kapitel von vielen, die noch folgen werden. Dabei muss auch nicht alles „Höher, Schneller, Weiter“ sein. Vielleicht machen wir auch mal eine Akustik-Tour, bei der wir mit vier Jungs auf die Bühne gehen und das war’s. Manchmal ist es auch schön und sympathisch, mal zwei Schritte zurückzugehen – showtechnisch, aber auch musikalisch. Da gibt es so viele Möglichkeiten, die ich noch ergründen will.
Gibt es denn den Punkt X, der Ihre Karriere krönend zu Ende bringen soll?
Garrett: Wenn ich eine Krankheit habe und nicht mehr spielen kann, dann würde ich sofort aufhören. Aber ansonsten gibt es nicht vieles, das mich davon abhalten kann, dieser Leidenschaft so lange nachzugehen, wie mein Herz noch schlägt. Denn ich weiß ganz sicher: Wenn ich die Geige aus meinem Leben streichen würde, würde ich mich selbst herausstreichen – zumindest jetzt.
Da sind Sie dann doch wieder ganz bei sich und Ihren Anfängen – so wie Bach…
Garrett: Johann Sebastian Bach ist mein König und mein Idol. Für mich hat er die Musik auf eine Art und Weise revolutioniert, wie das nach ihm keiner mehr geschafft hat. Nach allem, was er harmonisch erschaffen hat, können wir froh sein, darauf zurückgreifen zu dürfen. Da kann ich Geige spielen, solange ich will: Bach ist der Größte.
© Mannheimer Morgen, Donnerstag, 25.04.2019