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„Mir juckt es wahnsinnig in den Fingern“
12.10.2020
Auch Deutschlands kommerziell erfolgreichster Geiger der Gegenwart, den man früher wohl Jet-Setter bezeichnet hätte, ist aktuell eher unterbeschäftigt. Also geht David Garrett viel joggen, ins Museum und hat ein neues Album aufgenommen. Auf „Alive – My Soundtrack“ spielt der 40-Jährige eine Auswahl seiner liebsten Film- und TV-Songs, von „Stayin’ Alive“ bis „Shallow“. Ein Gespräch in Berlin.
Frage: Hätte Ihr neues Album eigentlich auch ohne Corona „Alive“, also „Lebendig“ geheißen?
Garrett: Ja, das hätte es. Ich wollte von Anfang an ein fröhliches Album herausbringen. Es sollte durch und durch positiv sein. Musik ist für mich etwas, das Spaß macht. Man kann sie in Gemeinschaft genießen, aber eben auch alleine. Ich will mit meinen Stücken so ein bisschen Lebensfreude für den Moment schaffen. Das gilt immer, aber in dieser für viele von uns sehr schwierigen und schwermütigen Situation gilt es erst recht.
Frage: Wann haben Sie Ihr letztes richtiges Konzert gespielt?
Garrett: Das war im Januar in Abu Dhabi. Für mich hat diese ganze Situation immer noch etwas Ungreifbares. Für Nichtwissenschaftler wie mich ist es schwierig, sich eine neutrale Meinung darüber zu bilden, ob die Einschränkungen richtig sind. Ich vertraue den Menschen, die das beruflich machen und halte mich an die Vorgaben.
Frage: Aber Sie würden schon gerne mal wieder auftreten, oder?
Garrett: Mir juckt es wahnsinnig in den Fingern. Ich habe noch nie so sehr eine Tournee herbeigesehnt wie jetzt in dieser Zeit. Ich sitze in den Startlöchern und warte auf grünes Licht. Bis es so weit ist, gehe ich viel laufen und spazieren. Die Berliner Museen habe ich jetzt schon alle durch. Es war schön, mal die Ruhe und die Zeit zu haben, sich die alle anzuschauen.
Frage: Hatten Sie das Album bereits eingespielt, als es zum Stillstand kam?
Garrett: Nein, ich habe im Frühjahr erst mit den Aufnahmen angefangen. Mit viel Zeit, Geduld und Freude habe ich mich mit meinem Produzenten Franck von der Heijden darüber ausgetauscht, was wir aufnehmen möchten. Wir haben anfangs viel übers Internet kommuniziert, uns aber später auch zum Arbeiten in seinem Studio getroffen.
Frage: Worauf kam es Ihnen besonders an?
Garrett: Mir war die Orchestrierung sehr wichtig. Ich habe extrem viel Musik gehört im letzten halben Jahr, wirklich alles querbeet und auch ganz viel Klassik. Besonders Beethoven war eine Inspirationsquelle, die ich in meine Bearbeitung von Crossover habe einfließen lassen.
Frage: Wie das?
Garrett: Ich will mich jetzt nicht mit Beethoven messen, aber dieses Umtriebige, der Wunsch, immer etwas Neues zu schaffen, sich von der Norm zu entfernen und seinen eigenen Kopf durchzusetzen, der eint nicht nur uns beide, sondern alle Musiker, die versuchen, sich immer wieder zu verändern und stetig zu verbessern. Mir ist es wichtig, zwischen den Grenzen zu spielen, mal ein Klassikalbum zu machen und dann wieder Crossover.
Mein erster Gedanke ist es nicht, kommerziell erfolgreich zu sein, sondern etwas zu erschaffen, was mir selbst Spaß macht beim Spielen. Wenn es noch gut verkauft, ist es doppelt schön.
Frage: Das Album beginnt mit „Stayin’ Alive“ von den Bee Gees. Was verbindet Sie mit dem Disco-Klassiker?
Garrett: Das ist eine tolle Nummer, die für die Geige wunderbar funktioniert. Wir haben das Tempo noch ein bisschen angezogen. Ich finde, ein Album muss mit einem Knall anfangen. Die erste Nummer muss richtig sitzen.
Frage: Sie spielen eine sehr bunte Mischung von Songs, etwa „Imagine“ und „Come Together“ von den Beatles oder Michael Jacksons „Thriller“ – sind das alles Lieblingssongs von Ihnen?
Garrett: Absolut. Gerade die Beatles haben wirklich wunderbare Melodien, vielleicht die besten überhaupt. Bei deren Liedern wusste ich auch direkt, dass die Umsetzung für mich und mein Instrument funktioniert.