AUF ‘NE COKE MIT… DAVID GARRETT
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Interview: Alexander Nebe
Fotos: Christoph Köstlin
Die Coronakrise hat auch die Musikbranche hart getroffen. Hier spricht der Geiger David Garrett über die Macht des positiven Denkens – und warum er niemals Fernweh hat
EIN BLICK IN SEINE TIEFBRAUNEN AUGEN genügt, um zu verstehen, warum viele Menschen bei diesem Mann dahinschmelzen: Blitzt in ihnen doch eine Mischung aus Sensibilität, Power und Unergründlichkeit. Für das Interview hat er es sich auf der Couch in der Ipanema-Lounge bei Universal Music in Berlin gemütlich gemacht. Und auch wenn das Wetter an diesem Nachmittag nur wenig brasilianisches Strand-Feeling aufkommen lässt, so hat David Garrett trotzdem sonnige Laune.
Bereits im Alter von 13 Jahren stand David Garrett bei der Deutschen Grammophon exklusiv unter Vertrag. Aber erst 14 Jahre später gelang ihm mit dem Crossover-Album „Virtuoso“ und einem neuen Image als Geigenrebell der internationale Durchbruch. Seither feiert der Star-Geiger einen Erfolg nach dem anderen. Garrett gewann mehrere Echos, einen Bambi und die Goldene Kamera; „Timeless“ war in Deutschland das meistverkaufte Klassikalbum des Jahres 2014. Zwischen 2008 und 2010 stand Garrett sogar im Guiness-Buch – als schnellster Geiger der Welt. Jetzt hat der in Aachen geborene Sohn einer US-amerikanischen Primaballerina und eines deutschen Juristen und Geigenauktionators mit „Alive – My Soundtrack“ sein jüngstes Album veröffentlicht.
David, im September hast du deinen 40. Geburtstag gefeiert. Hattest du vorher ein wenig Bauchschmerzen wegen der Zahl?
„Wenn mir Dinge nicht ganz geheuer sind, dann gehe ich sie bewusst mit ganz besonders viel Freude an (lacht). Und die Strategie hat auch diesmal super funktioniert: Ich habe mit meiner Familie und ein paar besonders engen Freunden gefeiert. Toll war, dass alle auch tatsächlich Zeit hatten, um vorbeizukommen – was in der aktuellen Situation nicht selbstverständlich ist. Es war ein rundum stimmiger und emotionaler Abend und deshalb würde ich sogar sagen, dass es mein bislang schönster Geburtstag war.“
Ich bin überzeugt, dass es bald wieder möglich sein wird, vor vielen Menschen Konzerte zu spielen. Es geht hoffentlich nur noch um Wochen und nicht um Monate.
Für viele sind runde Feiern ein Anlass für Melancholie und des Innehaltens. Wie ist es bei dir?
„Natürlich habe auch ich da ein wenig reflektiert – vor allem über die vergangenen 15 Jahre meiner Karriere. Die Zeit war schon ein unglaublich toller, wilder Ritt voller Höhen, aber auch mit ein paar Tiefen. Meine Eltern haben zum Geburtstag alte VHS- und Super-8-Aufnahmen aus meiner Kindheit digitalisieren lassen. Unter anderem von meinen ersten Auftritten und Karriereschritten. Das war ein ganz besonderes Geschenk. Es war für mich sehr bewegend, wieder einen direkten Bezug zu diesem wichtigen Teil meines Lebens zu finden.“
Bist du grundsätzlich ein melancholischer Mensch?
„Ich kann durchaus nachdenklich und im positiven Sinne wehmütig sein. Es schließt sich ja nicht aus, melancholisch auf vergangene Zeiten zurückzublicken und trotzdem optimistisch auf die Zukunft zu schauen. Die Vergangenheit hat ja die Gegenwart hervorgebracht. Und ich bin stolz auf meine Vergangenheit. Ohne meine Lebenserfahrungen wäre ich nicht der Musiker, der ich heute bin.“
Wie kam die Songauswahl für das neue Album „Alive – My Soundtrack“ zustande?
„Ich habe mich intensiv mit der Frage beschäftigt, was mich bisher in meinem Leben am meisten geprägt und inspiriert hat. Melodien aus Kinofilmen, Dokumentationen, aus der Popgeschichte und der Klassik – aber auch aus Computerspielen – haben mich besonders begeistert. Allerdings hat auch der Beginn der Corona-Pandemie, der direkt in unsere Produktion fiel, das Konzept geprägt. Ursprünglich wollte ich eigentlich ein rockiges Album einspielen – dann aber doch lieber Lebensfreude und positive Energie transportieren. Ich finde nämlich, dass ich als Musiker immer auch die Verantwortung habe, den Zeitgeist widerzuspiegeln und zu treffen. Ich will meine Fans in dieser Zeit auf andere Gedanken bringen und ihnen Lebensfreude vermitteln.“
Durch Covid-19 leben wir weiterhin in unruhigen Zeiten. Die Folgen der Pandemie haben auch die Musikbranche schwer durchgeschüttelt...
„Die aktuelle Lage bereitet mir wirklich große Sorgen. Mir persönlich geht es zwar gut, aber für die Menschen, die seit vielen Jahren mit mir arbeiten – vor allem dann, wenn ich auf Tour bin – ist es wirklich eine schwere Zeit. Niemand weiß, wie sich die Dinge entwickeln und wann Konzerte wieder möglich sein werden. Ich kann deshalb nur hoffen, dass es für die Branche möglichst bald wieder eine Perspektive gibt und somit auch endlich wieder Hoffnung und Zuversicht aufkommt.“
Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Politik und Gesellschaft mit offenen Augen einen ganzen Industriezweig gegen die Wand fahren lassen.
Der Versuch, ein Großkonzert in Düsseldorf mit Stars wie Sarah Connor und Bryan Adams unter strengen Corona-Schutzmaßnamen zu organisieren, ist ja kürzlich gescheitert.
„Ich finde es generell immer gut, wenn Dinge mit Optimismus und Zuversicht geplant werden. Aber wenn es noch gar keine klaren Grundvoraussetzungen gibt, dann greift man Dingen vielleicht auch einfach zu weit voraus und darf dann auch nicht enttäuscht sein, wenn die Politik ein Veto einlegt. Ich hoffe aber sehr, dass es die Politik so schnell wie möglich schafft, ein rundum überzeugendes Hygienekonzept auf die Beine zu stellen. Dass dringend etwas passieren muss und wir gute Zukunftskonzepte brauchen, steht außer Frage. Durch diesen andauernden Schwebezustand macht es gerade wenig Spaß, in der Musikbranche zu arbeiten.“
Musst du hin und wieder Arbeitskollegen oder Mitarbeiter mental aufbauen?
„Es gibt Situationen, in denen es Menschen ganz besonders hart trifft. Da greife ich natürlich zum Telefon und versuche, die- oder denjenigen wieder auf zuversichtliche Gedanken zu bringen. Man kann einfach nur so hoffnungsvoll wie möglich in die Zukunft blicken und ich bin überzeugt, dass es bald wieder möglich sein wird, vor vielen Menschen Konzerte zu spielen. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Politik und Gesellschaft mit offenen Augen einen ganzen Industriezweig gegen die Wand fahren lassen. Zumal in Deutschland Kultur und Musik eine ganz besonders große Tradition haben. Es geht hoffentlich nur noch um Wochen und nicht um Monate.“
Zumal du sicher auch darauf brennst, Titel deines neuen Albums auf der Bühne zu spielen…
„Aber sowas von! Wir haben inzwischen seit mehr als sechs Monaten kein Konzert mehr gespielt. Und wir hatten vor Corona eine Welttournee mit rund 40 Konzerten geplant. Die hätte im Juli losgehen sollen. Die Tour mussten wir leider auf nächstes Jahr verschieben. Parallel werden wir Anfang 2022 mit „Alive“ in Deutschland und der Schweiz auf Tour gehen. Der Vorverkauf beginnt am 28.10.2020.“
Ich habe noch nie einen Pessimisten kennengelernt, der großen Erfolg hatte.
Glaubst du an Schicksal oder können wir im Leben alles bis zu einem bestimmten Grad selbst steuern?
„Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass ich durch Engagement, Herzblut und positive Gedanken negativen Situationen gut ausweichen kann. Ein grundsätzlich positives Mindset ist dabei sehr wichtig. Ich habe noch nie einen Pessimisten kennengelernt, der großen Erfolg hatte. Das passt irgendwie nicht zusammen. Wir alle können ja bewusste Entscheidungen treffen und unser Leben proaktiv gestalten. Wer positiv, gesundheitsbewusst und ambitioniert lebt und immer wieder nach neuen Dingen und Herausforderungen sucht, der zieht positive Dinge viel eher an. Das passiert nicht, wenn man den Kopf in den Sand steckt und immer nur alles schlecht redet. Das Thema Gesundheit kann natürlich auch unter die Rubrik Schicksal fallen. Natürlich gibt es immer wieder Dinge im Leben, die nicht nur in den eigenen Händen liegen. Damit muss man dann so gut es geht umgehen. Aber auch bei gesundheitlichen Schicksalsschlägen ist eine positive Herangehensweise wichtig, um die Chancen auf Heilung zu erhöhen.“
Wie gehst du mit Enttäuschungen und Niederlagen im Leben um?
„Über solche Momente mache ich mir nie große Gedanken. Wenn etwas beruflich oder privat nicht funktioniert, dann denke ich still bei mir, dass es eben einfach nicht sein sollte. In solchen Momenten bin ich total pragmatisch. Über Wochen mit mir und der Welt hadern? Das ist nichts für mich!“
Ist die aktuelle Lage in deinen Augen auch eine Chance auf eine nachhaltigere Welt?
„Grundsätzlich ja. Aber manchmal sind gute Vorsätze das eine – und die tatsächliche Umsetzung das andere. Ich könnte mich jetzt hinstellen und sagen, dass ich zukünftig so viel wie möglich mit dem Zug oder dem Elektroauto reisen werde – aber in der Realität wird das in meinem Job einfach nicht möglich sein. Allein schon aus logistischen Gründen, wenn ich auf Tour bin, wäre das leider nicht umsetzbar. Aber dafür fliege ich nie für einen Urlaub in die Ferne.“
Ich habe niemals Fernweh, sondern eigentlich nur Heimweh.
Tatsächlich?
„Weil ich aus beruflichen Gründen schon so viel um die Welt geflogen bin, gibt es für mich nichts Schöneres als in meiner freien Zeit zu Hause zu sein. Ich habe niemals Fernweh, sondern eigentlich nur Heimweh. Ich sehne mich danach, zu Hause Ruhe zu finden und Kraft zu tanken – indem ich lange Spaziergänge unternehme, mit meiner Freundin auf der Couch Netflix-Filme sehe oder durch Galerien und Museen bummele.“
Wie setzt du Umweltschutz in deinem Alltag um?
„Beim Einkauf bringe ich immer meine eigenen Beutel mit. Plastikflaschen kaufe ich meist nur, wenn sie Pfand haben und recycelbar sind. Ich achte aber auch darauf, dass ich meinen persönlichen Strom- und Wasserverbrauch stets im Blick habe.“
Wie ist dein Blick auf die Welt im Herbst 2020?
„Wir leben zweifellos in unruhigen und herausfordernden Zeiten. Ich finde es aber schade, dass der Fokus in vielen Medien und in den sozialen Netzwerken meist nur noch auf das Schlechte gelegt wird. Bei den ganzen Negativschlagzeilen und Katastrophenmeldungen bekommen man den Eindruck, dass auf der Welt alles nur noch furchtbar ist.“
Sollten Medien demnach ausgleichender wirken?
„Das würde ich sehr begrüßen. Das soll natürlich nicht heißen, unbequeme Wahrheiten zu verdrängen. Aber es sollten in den News auch viel mehr Dinge offensiv berichtet werden, die erfreulich sind und beweisen, dass sich auf der Welt auch eine Menge in die richtige Richtung bewegt. Armut, Hunger oder Krankheiten haben zum Beispiel in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen. Und Bewegungen wie Fridays For Future oder Black Lives Matter geben mir auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft.“
Mit wem würdest du dich gerne auf eine Coke treffen?
„Auf jeden Fall mit Niccolò Paganini. Ich würde mich zu gerne mit ihm über sein Schaffen und seine Arbeit austauschen und ihn fragen, wie er auf seine revolutionären Ideen gekommen ist. Dieser Mann hat das Geigenspiel wie kein anderer geprägt und verändert. Er ist und bleibt eine faszinierende Legende.“
David Garretts neues Album „Alive – My Soundtrack“ ist gerade erschienen.